Zum Hauptinhalt springen

Artikel

Corona-Folgen: Tausende Kinder in NRW lernen nie schwimmen

| Allgemein (Sportjugend)

Schwimm-Experten im Sportausschuss des NRW-Landtages

Rettungsschwimmer fürchten, dass die Schwimmdefizite aufgrund der Corona-Pandemie kaum aufzuholen sind. Zumal die Rettungslizenz vieler Lehrkräfte in der Zeit des Lockdowns ausgelaufen ist.

Die Deutsche-Lebensrettungs-Gesellschaft (DLRG) Nordrhein fürchtet, dass die Schwimmdefizite der Kinder sich kaum aufholen lassen. „Wir als DLRG Nordrhein sehen mit großer Sorge den Auswirkungen entgegen, die die Corona-Pandemie auf die Schwimmfähigkeit gerade der Kinder haben wird“, heißt es in einer Stellungnahme für den Sport­ausschuss des Landtages. Seit Beginn der Corona-Pandemie seien unzählige Schwimmkurse, aber auch der Schwimmunterricht in den Schulen ausgefallen: „Dies hat dazu geführt, dass sich nun, wo der Ausbildungsbetrieb langsam wieder anläuft, ein ‚Stau an Nichtschwimmern‘ gebildet hat.“ In der Folge werde die Zahl der sicheren Schwimmer weiter abnehmen, erklärte Dirk Zamiara, Bildungsreferent bei der DLRG Nordrhein.

Der Sportausschuss des Landtages hatte auf Antrag von SPD und AfD Sachverständige geladen, um das Ausmaß des Problems besser einschätzen zu können und den Rat der Experten einzuholen.

Die Dimension des Problems umriss Frank Rabe, Generalsekretär des Schwimmverbands NRW (Swimpool). Er bezifferte die Zunahme an Nichtschwimmern am Ende der Grundschule in Nordrhein-Westfalen durch den Lockdown auf 42.000. Zusammen mit jenen rund 110.000 Kindern, die auch schon zuvor die vierte Klasse abschlossen, ohne richtig schwimmen zu können, kommt der Verband auf rund 152.000 Nichtschwimmer im Schuljahr 2020/21. Als sicherer Schwimmer gilt ein Kind, wenn es das Bronze-Abzeichen erworben hat.

Rabe rechnete vor, dass bei einem üblichen Betreuungsschlüssel im Schwimmunterricht von einem Lehrer für sechs Schüler allein 7000 Angebote zusätzlich nötig wären, nur um auf den Stand vor Corona zurückzufinden: „Um diesen Herausforderungen zu begegnen, ist es nötig, die Anzahl von Schwimmkursen beziehungsweise Schwimmstunden in der Schule als auch in den Vereinen zu steigern“, schlussfolgerte Rabe. Dies werde aber limitiert durch die Anzahl vorhandener Ausbilder und der zur Verfügung stehenden Wasserfläche. So planten 17 Prozent der Kommunen laut einer Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young zurzeit die Schließung von Schwimmbädern oder nur noch einen eingeschränkten Betrieb.

Der DLRG zufolge gibt es ein weiteres Problem: Im Verlauf der Pandemie hätten viele Lehrer die erforderliche Rettungslizenz verloren und suchten jetzt nach einem der knappen Auffrischungsangebote, um weiter Schwimmunterricht erteilen zu können. Zwar habe die Landesregierung eine Übergangsregelung bis zum 31. Januar des kommenden Jahres geschaffen. Dies werde aber nur zu einer Verschiebung des Problems führen.

Sinnvoll wäre es aus Sicht der Experten, den von der Landesregierung initiierten Pool von Assistenzkräften auszuweiten, um den Lehrkräften Unterstützung, etwa auf dem Weg zum Schwimmbad zu geben. So könne die reine Beckenzeit, die häufig aufgrund langer Transporte mit dem Schulbus und der Umkleidezeiten erhöht werden.

Einig waren sich die meisten Sachverständigen auch darin, dass das sogenannte Wasserflächenmanagement in den Kommunen verbessert werden müsse. Dabei solle der Fokus stärker auf dem Kinderschwimmen liegen, dem Schwimmunterricht also mehr Zeit eingeräumt werden. Zudem gelte es, Leerlaufphasen in den Bädern so gering wie möglich zu halten.

Auf ein grundsätzliches Problem des Schwimmunterrichts in Nordrhein-Westfalen wies Jan Fallack, Referent beim Städte- und Gemeindebund NRW, hin. Zwar gebe es seit den 1980er-Jahren Schwimmunterricht. Das Schulgesetz des Landes sage aber nicht eindeutig, dass die Schulträger verpflichtet seien, dafür Wasserflächen bereitzustellen. In anderen Bundesländern, etwa in Hessen, sei dies klarer geregelt und eine „Soll“-Vorschrift.

Einig waren sich die Sachverständigen im Düsseldorfer Landtag darin, dass die Grundlagen für das Schwimmen in jedem Fall im Elternhaus gelegt werden müssen. Die Schulen könnten es nicht kompensieren, wenn Kinder nicht einmal an Wasser gewöhnt seien. Das Bewusstsein für die Bedeutung des Schwimmens nehme bei den Eltern jedoch ab.

Text: Kirsten Bialdiga, Düsseldorf © Copyright 2021. Rheinische Post Verlagsgesellschaft mbH.
Foto: Andrea Bowinkelmann

 

Zurück